Michael Edwards
olatunji entpackt
Programme Note
Absence. Erasure. Fidelity. Presence.
Many specialists, myself included, place great emphasis on sound quality at the instrumental performance, acoustic, synthesis, recording, processing, mixing, and mastering level. A well-recorded live performance is a thing of beauty in itself. But the fragility of audio, especially in the context of complex sound textures and timbres, foregrounds signal-to-noise ratio as an aesthetic criterion rather than a mere electro-technical challenge. Another way of looking at this is to ask how dependent the musical experience is upon achieving exactly the right playing technique, the right balance, the right tempo, etc., etc.?
Some types of music are fragile whereas others are extremely robust. A Sciarrino Capriccio is delicate. Without the requisite virtuosity and musical experience the work will simply not sound; the structures will remain unheard. A Bach Invention, on the other hand, is extremely robust: you can hardly destroy these no matter which instrument(s) you play them on and in what tempo or dynamic; even beginners can realise the musical structures to a degree convincing enough for recognition at least, if not exactly enjoyment. But this ultimately says nothing about the aesthetic importance of one piece versus another, of course.
John Coltrane's music is in one particular way similar to Bach's: even the appalling recording quality of his last release, The Olatunji Concert, from April 23rd, 1967, cannot diminish the crushing power of this music. To hear it is to be mown down by the assault of thousands of distorted notes—distorted by recording technology as well as by the performance techniques, as saxophone multiphonics, in the hands of Coltrane or Pharoah Saunders, are a form of distortion: they make spectral hyperbole out of an already muscular, often strident instrument.
olatunji entpackt proposes a different form of distortion. With the extreme panning of the recording's percussion and saxophone it is possible to isolate the different sound qualities of the blistering attacks and play them across digital instruments. The Coltrane recording is thus dismantled via digital editing and note-splitting detection or dissection techniques then re-presentated in the form of short samples mapped in various ways to four wind controllers and electronic drum pads. Just as the saxophonists of the EW-4 quartet will set aside their saxophones, turning instead to the sonically absent MIDI Wind Controller, the percussionist will abandon striking sounding objects for equally and arbitrarily mappable MIDI Drum Pads. Each musician will explore the recording of the Olatunji Concert, as well as other samples, and a new, very noisy synthesis technique of mine based on translating photographs of the players into waveforms. The robustness, even inadequacy of MIDI will be juxtaposed against the fragility of recorded and performed musical gesture, nuanced digital synthesis and sound processing.
olatunji entpackt was written for EW-4 und João Carlos Pacheco.
Deutsche Fassung
Abwesenheit. Auslöschung. Treue. Präsenz.
Viele Fachleute, mich eingeschlossen, legen großen Wert auf die Klangqualität auf der Ebene der Instrumentalaufführung, der Akustik, der Synthese, der Aufnahme, der Bearbeitung, des Mixens und des Masterings. Eine gut aufgenommene Live-Performance ist an sich schon eine schöne Sache. Aber die Fragilität von Audio, insbesondere im Kontext komplexer Klangtexturen und Klangfarben, stellt das Signal-Rausch-Verhältnis als ästhetisches Kriterium in den Vordergrund und nicht als rein elektrotechnische Herausforderung. Eine andere Sichtweise ist die Frage, wie sehr das musikalische Erlebnis von der richtigen Spieltechnik, der richtigen Balance, dem richtigen Tempo usw. abhängt.
Einige Arten von Musik sind zerbrechlich, während andere extrem robust sind. Ein Capriccio von Sciarrino ist zerbrechlich. Ohne die nötige Virtuosität und musikalische Erfahrung wird das Werk einfach nicht klingen; die Strukturen werden ungehört bleiben. Eine Bach-Invention hingegen ist äußerst robust: Man kann sie kaum zerstören, egal auf welchem Instrument und in welchem Tempo oder welcher Dynamik man sie spielt; selbst Anfänger können die musikalischen Strukturen so überzeugend umsetzen, dass man sie zumindest wiedererkennt, wenn auch nicht gerade genießt. Aber das sagt natürlich letztlich nichts über die ästhetische Bedeutung des einen Stücks gegenüber dem anderen aus.
John Coltranes Musik ähnelt in einer Hinsicht der von Bach: Selbst die miserable Aufnahmequalität seiner letzten Veröffentlichung, The Olatunji Concert vom 23. April 1967, kann die erdrückende Kraft dieser Musik nicht schmälern. Sie zu hören bedeutet, von Tausenden verzerrter Noten niedergemäht zu werden - verzerrt durch die Aufnahmetechnik ebenso wie durch die Aufführungspraxis, denn Saxophon-Multiphonics in den Händen von Coltrane oder Pharoah Saunders sind eine Form der Verzerrung: Sie machen aus einem ohnehin schon muskulösen, oft kreischenden Instrument eine spektrale Hyperbel.
olatunji entpackt schlägt eine andere Form der Verzerrung vor. Durch das extreme Panning des Schlagzeugs und des Saxophons in der Aufnahme ist es möglich, die verschiedenen Klangqualitäten der glühenden Attacken zu isolieren und sie auf digitale Instrumente zu übertragen. Die Coltrane-Aufnahme wird auf diese Weise durch digitale Bearbeitungs- und Notensplitting-Erkennungs- und Zerteilungstechniken zerlegt und dann in Form von kurzen Samples, die auf verschiedene Weise auf vier Bläser und elektronische Drum-Pads gemappt werden, neu präsentiert. So wie die Saxophonisten des EW-4-Quartetts ihre Saxophone beiseite legen und sich stattdessen den stattdessen den klanglich leeren MIDI Wind Controllern zuwenden, werden die Schlagzeuger ihre markanten Klangobjekte für ebenso willkürlich zuzuordnende MIDI Drum Pads aufgeben. Jeder Musiker wird die Aufnahme des Olatunji-Konzerts sowie andere Samples und eine neue, sehr geräuschhafte Synthesetechnik von mir - die auf der Übersetzung von Fotos der Spieler in Wellenformen basiert ist - erkunden. Die Robustheit, ja sogar die Unzulänglichkeit von MIDI wird der Fragilität der aufgenommenen und gespielten musikalischen Gesten, der nuancierten digitalen Synthese und der Klangverarbeitung gegenübergestellt.